Die Stadt der Zukunft wird derzeit in verschiedenen Szenarien anskizziert. Es wird von „nachhaltiger Stadt“, „regenerativer Stadt“ oder „postfossiler Stadt“ gesprochen. Durch die gegenwärtige Klimaänderung und die knapper werdenden nicht-erneuerbarer Ressourcen wird ein Umdenken angeregt und gefordert. Dieses drückt sich besonders durch die Reduktion von CO2 und dem Versiegen des Erdöles aus. Ein Thema, das beide Problematiken in sich vereint und das sich auf unseren Alltag auswirken wird, ist die räumliche Mobilität. Sie ist ein zentraler Bestandteil unserer Existenz und hinsichtlich sämtlicher Tätigkeiten durch unsere Möglichkeiten, Interessen und Bedürfnisse bestimmt. Aufgrund der sich verändernden Rahmenbedingungen (Klimawandel und Ressourcenverbrauch) wird sich früher oder später auch die Mobilität eines jeden und der Gesellschaft im Ganzen – ergo das Mobilitätsverhalten – ändern, ändern müssen. Ohne fossile Rohstoffe wird sich kein darauf angewiesenes Fahrzeug mehr bewegen lassen. Alternativen stellen zwar Bioethanol und Erdgas dar. Sie unterliegen jedoch ebenfalls Einschränkungen oder besitzen ethische Nachteile. Zudem muss die Staatengemeinschaft die Emissionen von Treibhausgasen begrenzen, um größere, irreversible Schäden des Lebensraumes des Menschen, der Erde in ihrer Gesamtheit, zu verhindern oder zumindest zu minimieren. Ein Zukunftspfad zur Lösung des globalen Problems sind die erneuerbaren Energien und deren damit verknüpfte neue, grüne Technologien. Energien aus Wind, Sonnenlicht bzw. -wärme oder Biomasse sind erneuerbar und demnach fast unbegrenzt verfügbar. Dadurch lösen sie zumindest rechnerisch beide benannten Probleme. Die fossilen Brennstoffe würden kaum mehr benötigt und CO2 würde dadurch nicht mehr so erheblich freigesetzt werden. Praktisch gesehen ist jedoch bis dahin noch ein langer Weg. Seitdem es Autos und Fahrräder gibt, kann das Bedürfnis nach freier, individueller, spontaner und unabhängiger Mobilität als gegeben angesehen werden. Durch die genannten, sich verändernden Rahmenbedingungen deutet sich jedoch ein Verlust dessen an. Es gibt bisher noch kein, zum fossil betriebenen MIV entsprechendes nicht-fossile individuelle Verkehrsmittel mit ähnlichen Charakteristika, wie Kosten, Reichweite, Unabhängigkeit und Flexibilität. An dieser Problematik wird diese Arbeit ansetzen.
Mit Elektrofahrzeugen gibt es eine Möglichkeit, die benannten Mobilitätsbedürfnisse auch in Zukunft befriedigen und die erneuerbaren Energien beim individuellen Verkehr nutzen zu können. Auch wenn die Technologie bereits seit über 100 Jahren existiert und im geringen Maß E-Fahrräder seitdem genutzt wurden, gewinnen individuelle Verkehrsmittel mit Elektromotor und Batteriebetrieb erst seit ein paar Jahren eine zunehmend stärkere Bedeutung. E-Autos sowie Pedelecs und E-Bikes stellen eine Alternative zu ihren fossil-betriebenen bzw. mechanischen Pendants dar. Durch E-Zweiräder wird der Aktionsradius vergrößert, die Steigungs- und Lastempfindlichkeit wird verkleinert und somit ein schnelleres, entspannteres und komfortableres Fahren ermöglicht. E-Autos haben im Vergleich zum herkömmlichen Pkw Nachteile hinsichtlich der Reichweite, der Batteriekosten und der Aufladung. Durch die Vorteile der Elektrofahrräder und den Schwierigkeiten der E-Autos deutet sich eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens an. In einigen Zukunftsvisionen werden Elektrofahrräder einen erheblich bedeutenderen Anteil am Verkehrsaufkommen haben, E-Autos tendenziell in Car-Sharing-Modellen genutzt und der SPNV bzw. Eisenbahnfernverkehr die Schnittstelle zum überörtlichen, regionalem und nationalem Verkehrs darstellen. Durch diese Entwicklung würde die Aufenthaltsqualität der Städte gesteigert, Emissionen wie Lärm und CO2 verringert und der Einsatz erneuerbarer Energien für die gesamte Mobilität nutzbar gemacht werden. Eine freie, individuelle, spontane und unabhängige Mobilität wäre weiterhin möglich. Eine Besonderheit der Elektromobilität ist, dass sie in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion teilweise im Zusammenhang mit dem ÖV gedacht wird. Aus dieser Perspektive stellen Elektrofahrzeuge ein interessantes Forschungsfeld dar. Da Bahnhöfe eine Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Verkehrsträgern und den wichtigsten Knotenpunkt des ÖPNV darstellen, wird die Betrachtung von Elektromobilität an Bahnhöfen Schwerpunkt dieser Arbeit sein. Der erdölfreie Betrieb von Fahrzeugen soll eine Lösung der zukünftigen Verkehrsabwicklung aufzeigen. Diese Arbeit stellt somit einen Beitrag zu einer nachhaltigen, regenerativen, postfossilen Stadt dar.
Seit einigen Jahren wird auch durch politische Zielsetzungen, Programme und Förderungen den Themen nachhaltige Mobilität und Elektromobilität mehr Gewicht gegeben. 2012 wurde ein Memorandum „Städtische Energien – Zukunftsaufgaben der Städte“ vom BMVBS entwickelt. Darin werden die angesprochenen Themen als Leitbild formuliert. 2009 hat die Bundesregierung einen „Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität“ erarbeitet. Darin wurden für E-Autos u. a. Ziele für 2020, Leitbilder und Förderansätze (Bsp. Modelregionen Elektromobilität) definiert. Hierdurch erhält die Elektromobilität eine größere Bedeutung, woraus sich konkrete Projekte und Aufgaben ableiten lassen können. Durch den „Nationalen Radverkehrsplan 2020“ des BMVBS wird den Pedelecs und E-Bikes ein eigenes Kapitel mit Handlungserfordernissen und Lösungsstrategien gewidmet.
Abbildung 1: Vergleich Fahrrad- und Automobilbestand in Deutschland 2011 (RWE 2013)
Im Modal Split für 2008 in Deutschland nimmt der MIV mit 43 % eine dominante Stellung ein (vgl. MiD 2008). Der Fahrradverkehr wird dabei statistisch gesehen mit 10 % relativ gering genutzt. Der Modal Split stammt aus dem Jahr 2008, wo bisher kaum Elektrofahrzeuge im Sinne dieser Arbeit genutzt wurden. 2011 gab es ca. 310.000 Pedelecs und E-Bikes von insgesamt ca. 69 Mio. Fahrrädern. Die Tendenz ist hierbei stark steigend. Dagegen wurden 2011 erst 2.234 E-Autos genutzt (siehe Abbildung 1). Nach einer Studie des Bremer Energie Institutes soll der Marktanteil der E-Autos 2020 zwischen 1,1 % und 2,3 % und bei E-Zweiräder bei 10 % liegen (Bremer Energie Institut 2012: 15f). Demnach werden in Deutschland zwischen 500.000 und 1 Mio. E-Autos sowie 7 Mio. E-Zweiräder registriert sein. Anhand dieser Statistik werden die Potenziale, Dynamik aber auch Handlungserfordernisse deutlich. Elektromobilität wird damit ein immer wichtigerer Teil „unserer“ Mobilität.
Das Fallbeispiel der Arbeit wird Sachsen-Anhalt. Das Land liegt in Mitteldeutschland, hat bei einer Fläche von 20.446 km² ca. 2,3 Mio. Einwohner und hat sich seit 1990 durch den Struktur- und demographischen Wandel erheblich verändert. Durch diese Entwicklung hat sich auch die Mobilität der Bevölkerung verändert. Aufgrund steigender Mobilitätskosten bei der Erschließung mit dem ÖPNV und beim MIV könnte die Erreichbarkeit und Anbindung mancher peripherer Siedlungsbereiche in Zukunft schwieriger werden. Um die Daseinsvorsorge in allen Teilen des Landes zu gewährleisten, muss die Mobilität ganzheitlich und integriert betrachtet werden. Dabei steht neben der realisierten auch die potenzielle Fortbewegung im Mittelpunkt (Petersen 2006: A 27). Daher wird in dieser Arbeit auch die Integration der Elektromobilität in den ÖV, die Bahnhofsumfeldgestaltung und Elektromobilität im ländlichen Raum mitbetrachtet.
Es werden in dieser Arbeit folgende Kernfragen beantwortet:
“ Was muss an Infrastruktur für Elektromobilität errichtet werden und was muss sich indirekt am Mobilitätsverhalten ändern, um das anvisierte Ziel von
1 Mio. E-Autos und prognostizierten 7 Mio. Elektrozweiräder bis 2020 „versorgen“ zu können?
“ Welche infrastrukturellen Voraussetzungen benötigen hierfür im Besonderen die Bahnhöfe als wichtigste Verkehrsschnittstellen?
“ Welche weiteren Voraussetzungen und Ansätze bedarf es, um die Elektromobilität effizient und bedarfsgerecht mit dem ÖV zu integrieren?
Als Grundlage für die Arbeit wird zuerst eine Einordnung von Mobilität in Bezug zu Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit gegeben. Dabei wird u. a. die Mobilität in Bezug zur internationalen Klimapolitik hinsichtlich des Kyoto-Protokolls (KP) und durch die darin festgelegten Reduktionspflichten und Maßnahmen gesetzt. Hieraus wird der Handlungsbedarf definiert und die Elektromobilität als (Teil-)Lösung angedeutet.
Mittels einer Potenzialanalyse werden im darauffolgenden Schritt die Eigenschaften, Chancen und Grenzen beider Elektrofahrzeuge betrachtet, um daran zu zeigen, was an Infrastruktur notwendig ist. Dabei soll neben den infrastrukturellen Maßnahmen gezeigt werden, welche Energiekonzepte, rechtlichen Fragen und städtebaulichen Anforderungen notwendig sind. Abgeschlossen wird dieser erste Schwerpunkt der Arbeit mit einem Zwischenfazit sowie einer Darstellung einer persönlichen Visionen einer ökologischen Mobilität.
Durch eine SWOT-Analyse werden im dritten Schritt Bahnhöfe als (ökologische) Mobilitätsschnittstellen zwischen ÖPNV und Elektromobilität untersucht. Hierbei werden verschiedene Kategorien und Indikatoren bestimmt, die ein Vergleich der Bahnhöfe erlauben soll. Dabei spielen neben der direkten Bahnhofinfrastruktur (Stellplätze, Aufenthaltsqualität, Information) auch die Erreichbarkeit und Anbindung eine wichtige Rolle. Der Bahnhof soll als Tor und Verknüpfung zur Stadt, zum Quartier und zur Umgebung fungieren. Ergebnis wird eine Einschätzung sein, auf welchem Weg sich die gegenwärtige „Elektromobilität“ befindet. Für Sachsen-Anhalt wird dabei der Umgang mit unterschiedlichen Raumtypen und deren Charakteristika, Vor- und Nachteile sowie Risiken und Chancen Schwerpunkt sein. Aus der erarbeiteten Bestandsaufnahme wird untersucht, wie sich das Land Sachsen-Anhalt sowie ausgewählte Landkreise und Kommunen sich auf die Elektromobilität und deren räumliche Konsequenzen vorbereitet haben. Daraus wird ein Szenario erarbeitet sowie Hemmnisse festgestellt und anschließend Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
Aus diesen Analysen wird ein grobes Mobilitätskonzept für Elektromobilität an Bahnhöfen in Sachsen-Anhalt entwickelt, dass seinen Schwerpunkt auf die Entwicklung und Umgestaltung von Bahnhofsbereichen legt. Hierbei werden u. a. die Verkehrsflächen (Fußwege, Radwege, Straßen), die Übergänge zu den unterschiedlichen Verkehrsträgern (Fuß, Fahrrad, ÖPNV, Eisenbahnverkehr, sonstiger Verkehr), sonstige Infrastruktur (Bsp. Parkhäuser, Car-Sharing), begleitende Einrichtungen (Bsp. Rastplätze, Beleuchtung, Wegweisung, Informationstafeln) und der öffentliche Raum betrachtet.
Da es ein sehr aktuelles Thema ist und sich der Wissensstand erheblich ändern wird, muss die in dieser Arbeit zugrunde liegende Technik klar definiert werden. Da voraussichtlich in den nächsten Jahren u. a. die Batterietechnologie und somit die Reichweite und Effizienz sich verbessern werden, können nur schwer reale Annahmen ermittelt werden. Hierfür müssen in der zu schreibenden Arbeit Grenzen definiert werden. Zudem muss diese Arbeit unter den gegenwärtigen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen betrachtet werden. Eventuell muss das Ziel einer ökologischen Mobilität voraussichtlich außer Betracht gelassen werden, da die Möglichkeit einer nicht-ökologischen Elektromobilitätsbereitstellung durch eine ungünstige Ökobilanz bei der Fahrzeugherstellung besteht.
Die zu nutzende Literatur unterteilt sich in klassische Fachbücher u. a. über (Elektro-)Mobilität, Klimapolitik und Analysemethoden sowie in Beiträge aktueller Forschungsberichte. Zudem werden im Internet unterschiedlichste Dokumente bereitgestellt, die den Stand der Technik, Forschung und Anwendung seit 2005 relativ gut darstellen. Bemerkenswert ist dabei, dass sich in der Literaturrecherche bei „Elektromobilität“ sich deutlich mehr auf E-Autos bezogen wird. Durch den Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung 2009 ist das Thema der E-Vierräder erheblich gründlicher gefördert und demnach überdurchschnittlich publiziert worden, als das der Elektrozweiräder. Es wurden
u. a. in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut unterschiedliche Projekte durchgeführt und Berichte zusammengestellt. Literatur über E-Bikes und Pedelecs werden hauptsächlich durch Institutionen des Radverkehrs bereitgestellt.
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Hybridkraftwerke erneuerbarer Energien
Die erneuerbaren Energien (EE) entwickeln sich stetig in Deutschland zur wichtigsten Quelle für Strom- und Wärmeerzeugung. Im Jahr 2011 wurden 20,0 % des Stromes aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen . Bis 2020 sollen 35 % des Nutzstroms aus regenerativen Energieformen stammen . In Szenarien für 2050 wird eine bis zu 100-prozentige Versorgung angedeutet. Für diese Perspektive müssen die EE in der Lage sein, einen nachfrageorientierten Output zu leisten.
Um in der Vision eine 50%ige oder gar 100%ige Stromversorgung zu erhalten, bedarf es daher Anlagen, die eine Spitzen- und Grundlastfähigkeit aufweisen. Um Schwankungen der EE zu handhaben, muss es daher das Hauptziel einer Stromversorgung aus EE sein, effiziente und rentable Speichermöglichkeiten zu schaffen. Ein EE-Hybridkraftwerk, im Sinne dieser Arbeit, könnte ein solches Lösungsmodell darstellen. Für die relativ einfache Vorstellung – ausreichend Speichermöglichkeiten zu schaffen – stellt sich die Frage, warum es Schwierigkeiten bei der Entwicklung und Umsetzung von EE gibt.
Es gibt unterschiedliche Formen der nicht-fossilen Energiegewinnung. Sie besitzen in der Abhängigkeit der örtlichen Gegebenheiten Vor- und Nachteile. Einige Vorteile sind neben einer relativ nachhaltigen Energienutzung, eine dezentrale, von endlichen Rohstoffen unabhängige Bereitstellung. Besonders kritisch sind jedoch, wie im Folgenden beschrieben, die spezifischen Nachteile der einzelnen Systemtypen. Biogasanlagen benötigen Rohstoffe aus der Landwirtschaft. Dadurch ist diese Energieumwandlung besonders flächenintensiv. Zudem emittieren diese Anlagen erheblich Gerüche, wodurch sie für Anwohner störend wirken können. Biogasanlagen besitzen zwar eine Grundlastfähigkeit, können aber nicht kurzfristig an- und abgeschaltet werden, da der Gärprozess stetig ist. Photovoltaikanlagen liefern nur rentablen Strom, wenn die Sonne direkt scheint. Zudem sind sie flächenintensiv und durch die Sonnenabhängigkeit nicht grund- und spitzenlastfähig. Windkraftanlagen (WEA) benötigen für einen effizienten Betrieb ausreichend Wind. Sie sind daher separat weder spitzen- noch grundlastfähig und räumlich nicht überall rentabel. Zudem können WEA auf Anwohner und spezielle Tierarten, wie Fledermäuse, negative Wirkungen haben. Die Effizienz einer WEA ist besonders abhängig von der Windstärke. Ist diese gering, wird wenig Strom erzeugt. Zudem besteht die Gefahr, dass bei nicht benötigter Energie, Windkraftanlagen abgeschaltet oder gedrosselt werden müssen.
An dieser Stelle wird diese Arbeit ansetzen. Es wird die Stromgewinnung aus Windkraft, Biomasse und Elektrolyse sowie die Speicherungsmöglichkeiten der gewonnenen Energie betrachtet. Ziel ist es, ein Hybridkraftwerk zu beschreiben, das spitzen- und grundlastfähig ist und dadurch zu jeder Zeit soviel Energie liefern kann, wie benötigt wird.
Ziel der Arbeit ist es den Aufbau eines EE-Hybridkraftwerkes darzustellen, das eine Stadt von ca. 25.000 Einwohnern versorgen kann. Hierzu wird eine abstrakte Beispielkommune betrachtet. Wichtig wird dabei sein, auf die Ansprüche der einzelnen Kraftwerkskomponenten sowie auf Energie-, Produktions- sowie Versorgungskurven einzugehen (siehe Abbildung 2). Hintergrund ist es, Kriterien für einen optimalen Standort bzw. Kenngrößen für ein dementsprechendes Kraftwerk zu finden. Schwerpunktmäßig wird sich die Arbeit auf die technischen Aspekte beziehen. Hierfür werden im ersten Schritt die technischen Details der einzelnen Kraftwerkskomponenten betrachtet, um sie im zweiten Schritt an die Vorgabe der Einwohnerzahl hin anzupassen. Im dritten Schritt werden die Erkenntnisse zusammengetragen und ein Fazit gezogen.
Nachhaltige urbane Stadtplanung – ein „neues Gründerzeitviertel
Sanierte Stadtviertel des 19. Jahrhunderts stellen heutzutage attraktive
Wohnquartiere dar. Sie wer-den im deutschsprachigen Raum als Gründerzeitviertel
bezeichnet und setzen sich aus einer Vielzahl von „Mietskasernen“ zusammen.
Diese sind durch typische Eigenschaften (Blockrandbebauung, kleine Parzellen,
Hinterhofbebauung, Nutzungsmischung, etc.) geprägt. Das Wohnumfeld wurde in
einem Sanierungsprozess den Bedürfnissen der Bewohner angepasst und suggeriert
ge-genwärtig ein angenehmes Empfinden. Die Straßen und Plätze, die öffentlichen
Räume sowie die Freiflächen formten damals die historische Stadtstruktur. Der
öffentliche Raum ist räumlich begrenzt und erzeugt in den meisten Fällen eine
hohe Kommunikations- und Aufenthaltsqualität. Er dient den Menschen außerhalb
ihrer Arbeits- und Wohnwelt als öffentlicher Ort. Die Menschen, die in
Mietskasernen wohnen, entwickeln zudem in positiver Hinsicht typische Milieus
und charakterisieren so die jeweiligen Quartiere durch ein breites Spektrum an
Tätigkeiten: Wohnen, Arbeiten, Erholen, Treffen, Einkaufen, Feiern, Lernen.
Dieser Typus des kompakten und nutzungsgemischten Quartiers hat bis heute seine
Qualitäten behalten. Die Zusammenhänge dieser Stadtstrukturen sind vielfältig.
Aufgrund dieser Eigenschaften ist die Stadt, besonders die historische Stadt –
ob eine Kleinstadt oder Metropole – ein sehr nachhaltiges Produkt menschlichen
Schaffens.
Die Entwicklung solcher Stadtstrukturen ist jedoch durch verschiedene
historische Ereignisse im 20. Jahrhundert zum Erliegen gekommen. Die Stadt
wurde seither anders behandelt und geplant. Zu den entscheidenden Einflüssen
zählten die wachsende und sich verändernde Mobilität sowie die „Charta von
Athen“. Das Automobil als Massenfortbewegungsmittel hob räumliche Distanzen
auf, und die räumliche Nutzungstrennung von Wohnen, Arbeiten, Verkehr und
Erholung wurde fortan in der Stadtplanung gefordert. Noch 1994 sagte Andreas
FELDTKELLER (1994), dass sich seitdem ein urbanes neues Stadtmilieu in neu
entstandenen Stadtteilen nicht mehr entwickelt hat. In der Rückbesinnung auf
historisches Erbe der europäischen Städte wurde die „alte Stadt“ wieder
zeitgemäß und aus dem Bestand heraus saniert. Es entstanden in den 1970er
Jahren neue planerische Ansätze, die auch auf „alten“ Ideen beruhten. Die
Themen öffentlicher Raum, Nutzungsmischung, Stadt der kurzen Wege,
Aufenthaltsqualität, Urbanität wurden aktuell. Durch bestandserhaltende
Sanierung alter Gründerzeitviertel, entstanden an modernen Anforderungen
angepasste, attraktive Stadtteile. Dieser Zustand deutet an, dass
Gründerzeitviertel positive Qualitäten haben sowie durch ihre lange Lebensdauer
und kompakte Bauweise nachhaltige Eigenschaften erkennbar sind. FELDTKELLER
(2001) zeigt beispielsweise anhand des Französischen Viertels in Tübingen, dass
es seit Anfang der 1990er Jahre Ansätze gibt, kompakt bebaute,
nutzungsgemischte und urbane Quar-tiere zu errichten.
Die Motivation dieser Arbeit entstand aus der persönlichen Begeisterung für
Berlin, im Speziellen für den Ortsteil Prenzlauer Berg, aber auch für andere
typische Gründerzeitbebauungen. Die Mietskasernen haben neben negativen auch
eine Vielzahl von positiven Aspekten: attraktive Woh-nungszuschnitte, tolerante
Milieus, individuell gestaltete Hinterhöfe und einzigartige Nischen. Das Leben
in dieser Stadtstruktur mit seinen vielfältigen Möglichkeiten der Entfaltung
und Emanzipation wirkt sehr menschlich, modern und tolerant. Es ist ein begehrter
Wohnraum, soweit er saniert ist und das Wohnumfeld ebenfalls den Ansprüchen der
Bewohner gerecht wird. Bemerkenswert ist zum ersten, dass solche urbane
Quartiere mit diesen Straßen-, Gebäude- und Nutzungsstrukturen m. E. nicht mehr
gebaut werden, obwohl Leitbilder der Stadtplanung genau diese Art des Bauens
fordern und eine große Nachfrage bei dieser Wohnform besteht. Zum zweiten
besteht zwischen der gegenwärtigen Planungspraxis und aktuellen
stadtplanerischen Grundsätzen, wie „Stadt der kurzen Wege“ und
„Nutzungsgemischte Stadt“ eine große Diskrepanz. Die Leitbilder stehen
teilweise nur theoretisch hinter neu gebauten Siedlungsstrukturen der jüngeren
Vergangenheit.
Der Versuch, einer „alten“ Stadtstruktur zur Renaissance zu verhelfen, kann
kritisch betrachtet werden, wird aber in dieser Arbeit als ein Lösungsansatz
verstanden. Besonders im Hinblick auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse und
der Notwendigkeit einer nachhaltigen Stadtentwicklung sind alle Wohnformen zu
betrachten, die diesem Anspruch entsprechen. Gründerzeitviertel gehören nach
meiner Auffassung unbedingt dazu. Ein Blick auf Bewährtes und Funktionierendes
ist manchmal sinnvoller, als neue städtebauliche Ideen ohne Rücksicht auf die
Erkenntnisse der Vergangenheit. „Man kann keine Städte planen, ohne zu wissen,
welche Art von Gesellschaft darin wohnen soll. Man plant immer für eine
Gesellschaft, die es gibt oder geben soll. (Fritsch 1954).“ Der Ortsteil
Prenzlauer Berg bietet mit seinen baulichen Strukturen m. E. ein gutes
Beispiel, in der eine aufgeklärte, demokratische, tolerante, freie und
verantwortungsbewusste Gesellschaft existiert, in der jeder nach seiner Façon
leben kann. Es kann ein Ziel des Städteplaners sein, Wohnorte und -umgebungen
für diese Gesellschaft „neu“ zu bauen. Es sollten Stadtstrukturen entstehen,
die von der Gesellschaft gerne bewohnt werden und zur individuellen Entfaltung
beitragen. Dabei sind diese Strukturen ökonomisch und ökologisch sinnvoll in
den Gesamtzusammenhang einzugliedern. Der Hintergrund für diese Überlegungen
ist, dass eine nachhaltige Stadtentwicklung und die Planung attraktiver
Stadtteile für mich an oberster Stelle in der Stadtplanung stehen.
Gründerzeitviertel sollten als ein Modell für eine nachhaltige Stadtentwicklung
gesehen werden.
Gründerzeitbauten entstanden in der Zeit zwischen 1850 und 1918, auch wenn die
politische Grün-derzeit zwischen der Gründung des Deutschen Reiches 1871 und
der ersten darauf folgenden Wirtschaftskrise (Gründerkrach) 1873 lag. In der
Zeit zwischen 1849 und 1871 sowie zwischen 1873 und 1918 entstanden
städtebaulich, baurechtlich und architektonisch ähnliche Gebäude und Quartiere.
Der im Mittelpunkt dieser Arbeit stehende „Hobrecht-Plan“ wurde eigens für
Berlin 1862 entwickelt und war verbindlich. Zu dieser Zeit befand sich
Deutschland in einem Gründungsprozess. 1871 fand die Gründung des Deutschen
Reiches statt. In der Zeit danach wurden viele Unternehmen, Vereine und
Organisationen gegründet. Berlin entwickelte sich dabei zu einer der
wichtigsten Industriestädte der Welt. Eine Folge der Industrialisierung war,
dass Menschen in die Städte zogen, um dort Arbeit zu finden. In der Zeit
zwischen 1871 und 1905 stieg die Einwohnerzahl in Berlin von 826.000 auf
2.040.000 an (Ribbe 2002: 694). Dabei hatte 1849 die Stadt noch 412.000
Einwohner (ebd.: 661). Der Zuwachs erfolgte hauptsächlich durch Zuwanderung.
Quartiere, die in der Zeit vor 1918 entstanden, prägen das Bild von Berlin noch
heute. Besonders im zweiten Zeit-abschnitt (1871-1918) wurde der Hauptteil der
Mietskasernen errichtet. Die Gründerzeitviertel befinden sich hauptsächlich in
allen heutigen innerstädtischen Bezirken (z.B. Charlottenburg-Wilmersdorf,
Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte) und an den Bahnhöfen der ehem. Vorortbahnen
(z. B. Köpenick, Spandau, Steglitz, Pankow). Es entwickelte sich ein fast
flächendeckender Bau- und Stadtstrukturtyp, den Werner HEGEMANN als „Steinernes
Berlin“ kritisch beschrieben hat (vgl. Hegemann 1933).
Im Mittelpunkt dieser Arbeit wird gezeigt, welches die charakteristischen
Elemente eines Berliner Gründerzeitviertels hinsichtlich der städtebaulichen
Zusammensetzung sind, wie dieser Siedlungstyp entstanden ist und welche
rechtlichen Instrumente nötig sind, um diese baulichen Strukturen wieder zu
entwickeln. Es wird der These nachgegangen: „Gründerzeitviertel sind
nachhaltig, da durch sie Boden gespart, nicht erneuerbarer Rohstoff effektiver
genutzt, Verkehr reduziert und Umweltbelastung vermindert wird.“ Das Ziel
dieser Arbeit wird sein, ein urbanes Stadtquartier zu entwerfen, das Qualitäten
der Gründerzeitviertel in sich vereint. Diese Arbeit besitzt zwei Schwerpunkte.
Der erste beschäftigt sich mit den Fragen: „Welche Elemente machen
Gründerzeitviertel charakteristisch und wie wurden sie geplant?“ und „Sind
Gründerzeitviertel nachhaltig und urban?“ Da die Untersuchung eines
Gründerzeitviertels ein komplexes Thema darstellt, werden schwerpunktmäßig die
baurechtlichen, infrastrukturellen und städtebaulichen Belange untersucht. Im
Mittelpunkt stehen dabei Fluchtlinienpläne, die ein nicht mehr angewendetes,
aber interessantes Planungsinstrument darstellen. Im zweiten Schwerpunkt werden
die Fragen: „Wie können Gründerzeitviertel wieder geplant und gebaut werden?“
und „Wie können sie mit den heutigen Anforderungen an die Stadtplanung in
Einklang gebracht werden?“ betrachtet. Daraus ergibt sich die Hypothese: „Wenn
strukturelle Elemente von Gründerzeitvierteln wieder gebaut werden, dann
entstehen nachhaltige und urbane Quartiere.“ Inwieweit das eintrifft, kann nur
die Zukunft zeigen, da gründerzeitliche Strukturen und Quartiere m. E. nicht
mehr gebaut werden. Es wird eine Möglichkeit der Stadtentwicklung
vorgeschlagen, die mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Interessen und
Bedürfnissen sowie den aktuellen ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen
übereinstimmt. Als Endergebnis wird ein B-Plan nach dem BauGB für ein
innerstädtisches Quartier in Berlin entwickelt, dass den Qualitäten eines
typischen, dicht bebauten urbanen Quartiers entspricht und gleichzeitig
modernen und nachhaltigen Anforderungen gerecht wird. Der Plan wird eine
Weiterentwicklung des Bebauungsplans 1862 von James Hobrecht sein. Er besitzt
daher ein Minimum an Restriktionen und Regelungen. Da die Gründerzeit eine
historisch abgeschlossene Periode darstellt, wird für das entworfene Quartier
der Begriff „Neues Gründerzeitviertel“ verwendet. Der Bau- und Strukturtyp der
Vergangenheit wird dabei an die Bedingungen der Gegenwart angepasst werden. Der
entwickelte Siedlungstyp wird als ein Lösungsansatz für eine nachhaltige
Stadtentwicklung angesehen.
Für die Bearbeitung des Themas werden im ersten Schritt historische
Gründerzeitviertel aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Es wird eine
Bestandsaufnahme eines typischen historischen Gründerzeitviertels durchgeführt,
das historische Baurecht untersucht, die Mietskaserne definiert,
gesellschaftliche und ökonomische Rahmenbedingungen benannt und eine behutsame
Stadterneuerung betrachtet. Im zweiten Schritt wird gezeigt, dass sanierte
Gründerzeitviertel heutzutage nachhaltig und urban sind. Diese Schritte bilden
den ersten Schwerpunkt dieser Arbeit. Der dritte Schritt leitet die Betrachtung
des zweiten Schwerpunktes ein. Um die gegenwärtige Perspektive zu integrieren,
werden hier die Anforderungen an ein Neues Gründerzeitviertel beschrieben. Es
werden die Elmente benannt, die ein typisches Gründerzeitviertel
charakterisieren sowie die Parameter hinzugefügt, die von der modernen
Stadtplanung vorgegeben werden. Im Anschluss wird unter-sucht, ob Neue
Gründerzeitviertel seitens der Politik und des BauGB’s planbar sind. Die
aktuellen gesellschaftlichen, ökologischen, ökonomischen und rechtlichen
Rahmenbedingungen sind in dieser Arbeit als gegeben anzusehen. Daraus ergibt
sich der vierte Schritt, in dem die Instrumente der Stadtplanung untersucht
werden, um Neue Gründerzeitviertel zu planen. Dabei wird auf den
Flä-chennutzungsplan (FNP) und den Bebauungsplan (B-Plan) als formelles
Planungsinstrument sowie auf den städtebaulichen Rahmenplan als informelle
Planungsinstrumente eingegangen. Die erarbeiteten Umsetzungsmöglichkeiten
werden im fünften Schritt am Fallbeispiel „Neues Bahnhofsviertel“ angewendet.
Das Plangebiet stellt die Fläche nördlich des Berliner Hauptbahnhofes, zwischen
der Lehrter Straße und dem Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal bis hin zur
Perleberger Brücke dar. Es wird für dieses Gebiet ein formeller Plan erstellt,
der die erarbeiteten Elemente soweit wie möglich und notwendig festsetzt. Alle
sonstigen, aber formell nicht regelbaren Elemente werden durch einen
städtebaulichen Rahmenplan in die Planung integriert.
Zu Beginn der Arbeit fand eine Literaturrecherche für wichtig erachtete Themen
statt: Urbanität, Flächenverbrauch, Erschließung, ÖPNV, öffentlicher Raum,
Versorgung, Nutzungsmischung, Nachhaltigkeit, Dichte, etc. Es wurden ausschließlich
Quellen aus Büchern, Broschüren, Zeitschriften und dem Internet genutzt. Dabei
konnte festgestellt werden, dass die Betrachtung von gründer-zeitlichen
Quartieren unterrepräsentiert ist. Die Arbeit von Andreas FELDTKELLER (1994)
„Die zweckentfremdete Stadt“ und Arno BUNZEL (2000) „Arbeitshilfe Umweltschutz
in der Bebauungsplanung“ werden in der Analyse, Bewertung und Planung Anwendung
finden. Besonders die Forderung FRICKS: „Die Planung der städtebaulichen
Strukturen und der baulichen Anlagen muss von der Begrenzung und der Gestaltung
des öffentlichen Raumes ausgehen.“ wird als Handlungsprämisse angesehen (vgl.
Frick 2006). Die Werke von Kevin LYNCH (1965), Gerhard CURDES (1993), Dieter
FRICK (2006), Christopher ALEXANDER (1995), Josef STÜBBEN (1924), Alfred
ABENDROTH (1926) und Camillo SITTE (1889/2001) waren für das Verständnis über
Städtebau und Stadtplanung grundlegend. Zusätzlich wurden informelle Gespräche
mit Experten von der Universität, aus Stadtplanungsämtern, und von
Planungsbüros geführt, um festzustellen, ob die Gedanken und Ideen umsetzbar
sind. Folgende Fragen sind zudem für die Arbeit wichtig geworden, da sich
hieraus das persönliche Verständnis von Stadtplanung entwickelt hat: Was kann
die Stadtplanung und was kann sie nicht leisten? Was muss die Stadtplanung und
was muss sie nicht leisten? Wann muss die Stadtplanung etwas leisten? Wann
wurde gut geplant? Wie kann Umweltschutz und Stadt zusammen gedacht werden?
Diese Fragen stehen den Überlegungen beiseite.
Die Arbeit ist in der Betrachtung eines typisch innerstädtischen
Gründerzeitviertels in Berlin-Prenzlauer Berg und deren Untersuchung
hinsichtlich baurechtlicher, infrastruktureller und städtebaulicher
Gegebenheiten eingegrenzt. Ökonomische, soziologische oder politische Aspekte
können nur soweit es die Analyse des urbanen Quartiers betrifft, betrachtet
werden. Mögliche Interessen-konflikte zwischen dem Staat, dem Markt und der
Gesellschaft bezüglich des Themas zu untersuchen, wären sehr interessant. Sie
würden jedoch den Schwerpunkt der Arbeit hin zu einer politik- oder
sozialwissenschaftlichen Arbeit verschieben.