Die Stadt der Zukunft wird derzeit in verschiedenen Szenarien anskizziert. Es wird von „nachhaltiger Stadt“, „regenerativer Stadt“ oder „postfossiler Stadt“ gesprochen. Durch die gegenwärtige Klimaänderung und die knapper werdenden nicht-erneuerbarer Ressourcen wird ein Umdenken angeregt und gefordert. Dieses drückt sich besonders durch die Reduktion von CO2 und dem Versiegen des Erdöles aus. Ein Thema, das beide Problematiken in sich vereint und das sich auf unseren Alltag auswirken wird, ist die räumliche Mobilität. Sie ist ein zentraler Bestandteil unserer Existenz und hinsichtlich sämtlicher Tätigkeiten durch unsere Möglichkeiten, Interessen und Bedürfnisse bestimmt. Aufgrund der sich verändernden Rahmenbedingungen (Klimawandel und Ressourcenverbrauch) wird sich früher oder später auch die Mobilität eines jeden und der Gesellschaft im Ganzen – ergo das Mobilitätsverhalten – ändern, ändern müssen. Ohne fossile Rohstoffe wird sich kein darauf angewiesenes Fahrzeug mehr bewegen lassen. Alternativen stellen zwar Bioethanol und Erdgas dar. Sie unterliegen jedoch ebenfalls Einschränkungen oder besitzen ethische Nachteile. Zudem muss die Staatengemeinschaft die Emissionen von Treibhausgasen begrenzen, um größere, irreversible Schäden des Lebensraumes des Menschen, der Erde in ihrer Gesamtheit, zu verhindern oder zumindest zu minimieren. Ein Zukunftspfad zur Lösung des globalen Problems sind die erneuerbaren Energien und deren damit verknüpfte neue, grüne Technologien. Energien aus Wind, Sonnenlicht bzw. -wärme oder Biomasse sind erneuerbar und demnach fast unbegrenzt verfügbar. Dadurch lösen sie zumindest rechnerisch beide benannten Probleme. Die fossilen Brennstoffe würden kaum mehr benötigt und CO2 würde dadurch nicht mehr so erheblich freigesetzt werden. Praktisch gesehen ist jedoch bis dahin noch ein langer Weg. Seitdem es Autos und Fahrräder gibt, kann das Bedürfnis nach freier, individueller, spontaner und unabhängiger Mobilität als gegeben angesehen werden. Durch die genannten, sich verändernden Rahmenbedingungen deutet sich jedoch ein Verlust dessen an. Es gibt bisher noch kein, zum fossil betriebenen MIV entsprechendes nicht-fossile individuelle Verkehrsmittel mit ähnlichen Charakteristika, wie Kosten, Reichweite, Unabhängigkeit und Flexibilität. An dieser Problematik wird diese Arbeit ansetzen.
Mit Elektrofahrzeugen gibt es eine Möglichkeit, die benannten Mobilitätsbedürfnisse auch in Zukunft befriedigen und die erneuerbaren Energien beim individuellen Verkehr nutzen zu können. Auch wenn die Technologie bereits seit über 100 Jahren existiert und im geringen Maß E-Fahrräder seitdem genutzt wurden, gewinnen individuelle Verkehrsmittel mit Elektromotor und Batteriebetrieb erst seit ein paar Jahren eine zunehmend stärkere Bedeutung. E-Autos sowie Pedelecs und E-Bikes stellen eine Alternative zu ihren fossil-betriebenen bzw. mechanischen Pendants dar. Durch E-Zweiräder wird der Aktionsradius vergrößert, die Steigungs- und Lastempfindlichkeit wird verkleinert und somit ein schnelleres, entspannteres und komfortableres Fahren ermöglicht. E-Autos haben im Vergleich zum herkömmlichen Pkw Nachteile hinsichtlich der Reichweite, der Batteriekosten und der Aufladung. Durch die Vorteile der Elektrofahrräder und den Schwierigkeiten der E-Autos deutet sich eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens an. In einigen Zukunftsvisionen werden Elektrofahrräder einen erheblich bedeutenderen Anteil am Verkehrsaufkommen haben, E-Autos tendenziell in Car-Sharing-Modellen genutzt und der SPNV bzw. Eisenbahnfernverkehr die Schnittstelle zum überörtlichen, regionalem und nationalem Verkehrs darstellen. Durch diese Entwicklung würde die Aufenthaltsqualität der Städte gesteigert, Emissionen wie Lärm und CO2 verringert und der Einsatz erneuerbarer Energien für die gesamte Mobilität nutzbar gemacht werden. Eine freie, individuelle, spontane und unabhängige Mobilität wäre weiterhin möglich. Eine Besonderheit der Elektromobilität ist, dass sie in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion teilweise im Zusammenhang mit dem ÖV gedacht wird. Aus dieser Perspektive stellen Elektrofahrzeuge ein interessantes Forschungsfeld dar. Da Bahnhöfe eine Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Verkehrsträgern und den wichtigsten Knotenpunkt des ÖPNV darstellen, wird die Betrachtung von Elektromobilität an Bahnhöfen Schwerpunkt dieser Arbeit sein. Der erdölfreie Betrieb von Fahrzeugen soll eine Lösung der zukünftigen Verkehrsabwicklung aufzeigen. Diese Arbeit stellt somit einen Beitrag zu einer nachhaltigen, regenerativen, postfossilen Stadt dar.
Seit einigen Jahren wird auch durch politische Zielsetzungen, Programme und Förderungen den Themen nachhaltige Mobilität und Elektromobilität mehr Gewicht gegeben. 2012 wurde ein Memorandum „Städtische Energien – Zukunftsaufgaben der Städte“ vom BMVBS entwickelt. Darin werden die angesprochenen Themen als Leitbild formuliert. 2009 hat die Bundesregierung einen „Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität“ erarbeitet. Darin wurden für E-Autos u. a. Ziele für 2020, Leitbilder und Förderansätze (Bsp. Modelregionen Elektromobilität) definiert. Hierdurch erhält die Elektromobilität eine größere Bedeutung, woraus sich konkrete Projekte und Aufgaben ableiten lassen können. Durch den „Nationalen Radverkehrsplan 2020“ des BMVBS wird den Pedelecs und E-Bikes ein eigenes Kapitel mit Handlungserfordernissen und Lösungsstrategien gewidmet.
Abbildung 1: Vergleich Fahrrad- und Automobilbestand in Deutschland 2011 (RWE 2013)
Im Modal Split für 2008 in Deutschland nimmt der MIV mit 43 % eine dominante Stellung ein (vgl. MiD 2008). Der Fahrradverkehr wird dabei statistisch gesehen mit 10 % relativ gering genutzt. Der Modal Split stammt aus dem Jahr 2008, wo bisher kaum Elektrofahrzeuge im Sinne dieser Arbeit genutzt wurden. 2011 gab es ca. 310.000 Pedelecs und E-Bikes von insgesamt ca. 69 Mio. Fahrrädern. Die Tendenz ist hierbei stark steigend. Dagegen wurden 2011 erst 2.234 E-Autos genutzt (siehe Abbildung 1). Nach einer Studie des Bremer Energie Institutes soll der Marktanteil der E-Autos 2020 zwischen 1,1 % und 2,3 % und bei E-Zweiräder bei 10 % liegen (Bremer Energie Institut 2012: 15f). Demnach werden in Deutschland zwischen 500.000 und 1 Mio. E-Autos sowie 7 Mio. E-Zweiräder registriert sein. Anhand dieser Statistik werden die Potenziale, Dynamik aber auch Handlungserfordernisse deutlich. Elektromobilität wird damit ein immer wichtigerer Teil „unserer“ Mobilität.
Das Fallbeispiel der Arbeit wird Sachsen-Anhalt. Das Land liegt in Mitteldeutschland, hat bei einer Fläche von 20.446 km² ca. 2,3 Mio. Einwohner und hat sich seit 1990 durch den Struktur- und demographischen Wandel erheblich verändert. Durch diese Entwicklung hat sich auch die Mobilität der Bevölkerung verändert. Aufgrund steigender Mobilitätskosten bei der Erschließung mit dem ÖPNV und beim MIV könnte die Erreichbarkeit und Anbindung mancher peripherer Siedlungsbereiche in Zukunft schwieriger werden. Um die Daseinsvorsorge in allen Teilen des Landes zu gewährleisten, muss die Mobilität ganzheitlich und integriert betrachtet werden. Dabei steht neben der realisierten auch die potenzielle Fortbewegung im Mittelpunkt (Petersen 2006: A 27). Daher wird in dieser Arbeit auch die Integration der Elektromobilität in den ÖV, die Bahnhofsumfeldgestaltung und Elektromobilität im ländlichen Raum mitbetrachtet.
Es werden in dieser Arbeit folgende Kernfragen beantwortet:
“ Was muss an Infrastruktur für Elektromobilität errichtet werden und was muss sich indirekt am Mobilitätsverhalten ändern, um das anvisierte Ziel von
1 Mio. E-Autos und prognostizierten 7 Mio. Elektrozweiräder bis 2020 „versorgen“ zu können?
“ Welche infrastrukturellen Voraussetzungen benötigen hierfür im Besonderen die Bahnhöfe als wichtigste Verkehrsschnittstellen?
“ Welche weiteren Voraussetzungen und Ansätze bedarf es, um die Elektromobilität effizient und bedarfsgerecht mit dem ÖV zu integrieren?
Als Grundlage für die Arbeit wird zuerst eine Einordnung von Mobilität in Bezug zu Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit gegeben. Dabei wird u. a. die Mobilität in Bezug zur internationalen Klimapolitik hinsichtlich des Kyoto-Protokolls (KP) und durch die darin festgelegten Reduktionspflichten und Maßnahmen gesetzt. Hieraus wird der Handlungsbedarf definiert und die Elektromobilität als (Teil-)Lösung angedeutet.
Mittels einer Potenzialanalyse werden im darauffolgenden Schritt die Eigenschaften, Chancen und Grenzen beider Elektrofahrzeuge betrachtet, um daran zu zeigen, was an Infrastruktur notwendig ist. Dabei soll neben den infrastrukturellen Maßnahmen gezeigt werden, welche Energiekonzepte, rechtlichen Fragen und städtebaulichen Anforderungen notwendig sind. Abgeschlossen wird dieser erste Schwerpunkt der Arbeit mit einem Zwischenfazit sowie einer Darstellung einer persönlichen Visionen einer ökologischen Mobilität.
Durch eine SWOT-Analyse werden im dritten Schritt Bahnhöfe als (ökologische) Mobilitätsschnittstellen zwischen ÖPNV und Elektromobilität untersucht. Hierbei werden verschiedene Kategorien und Indikatoren bestimmt, die ein Vergleich der Bahnhöfe erlauben soll. Dabei spielen neben der direkten Bahnhofinfrastruktur (Stellplätze, Aufenthaltsqualität, Information) auch die Erreichbarkeit und Anbindung eine wichtige Rolle. Der Bahnhof soll als Tor und Verknüpfung zur Stadt, zum Quartier und zur Umgebung fungieren. Ergebnis wird eine Einschätzung sein, auf welchem Weg sich die gegenwärtige „Elektromobilität“ befindet. Für Sachsen-Anhalt wird dabei der Umgang mit unterschiedlichen Raumtypen und deren Charakteristika, Vor- und Nachteile sowie Risiken und Chancen Schwerpunkt sein. Aus der erarbeiteten Bestandsaufnahme wird untersucht, wie sich das Land Sachsen-Anhalt sowie ausgewählte Landkreise und Kommunen sich auf die Elektromobilität und deren räumliche Konsequenzen vorbereitet haben. Daraus wird ein Szenario erarbeitet sowie Hemmnisse festgestellt und anschließend Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
Aus diesen Analysen wird ein grobes Mobilitätskonzept für Elektromobilität an Bahnhöfen in Sachsen-Anhalt entwickelt, dass seinen Schwerpunkt auf die Entwicklung und Umgestaltung von Bahnhofsbereichen legt. Hierbei werden u. a. die Verkehrsflächen (Fußwege, Radwege, Straßen), die Übergänge zu den unterschiedlichen Verkehrsträgern (Fuß, Fahrrad, ÖPNV, Eisenbahnverkehr, sonstiger Verkehr), sonstige Infrastruktur (Bsp. Parkhäuser, Car-Sharing), begleitende Einrichtungen (Bsp. Rastplätze, Beleuchtung, Wegweisung, Informationstafeln) und der öffentliche Raum betrachtet.
Da es ein sehr aktuelles Thema ist und sich der Wissensstand erheblich ändern wird, muss die in dieser Arbeit zugrunde liegende Technik klar definiert werden. Da voraussichtlich in den nächsten Jahren u. a. die Batterietechnologie und somit die Reichweite und Effizienz sich verbessern werden, können nur schwer reale Annahmen ermittelt werden. Hierfür müssen in der zu schreibenden Arbeit Grenzen definiert werden. Zudem muss diese Arbeit unter den gegenwärtigen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen betrachtet werden. Eventuell muss das Ziel einer ökologischen Mobilität voraussichtlich außer Betracht gelassen werden, da die Möglichkeit einer nicht-ökologischen Elektromobilitätsbereitstellung durch eine ungünstige Ökobilanz bei der Fahrzeugherstellung besteht.
Die zu nutzende Literatur unterteilt sich in klassische Fachbücher u. a. über (Elektro-)Mobilität, Klimapolitik und Analysemethoden sowie in Beiträge aktueller Forschungsberichte. Zudem werden im Internet unterschiedlichste Dokumente bereitgestellt, die den Stand der Technik, Forschung und Anwendung seit 2005 relativ gut darstellen. Bemerkenswert ist dabei, dass sich in der Literaturrecherche bei „Elektromobilität“ sich deutlich mehr auf E-Autos bezogen wird. Durch den Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung 2009 ist das Thema der E-Vierräder erheblich gründlicher gefördert und demnach überdurchschnittlich publiziert worden, als das der Elektrozweiräder. Es wurden
u. a. in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut unterschiedliche Projekte durchgeführt und Berichte zusammengestellt. Literatur über E-Bikes und Pedelecs werden hauptsächlich durch Institutionen des Radverkehrs bereitgestellt.